Kindheit und Sexualität: Wann beginnt Sexualität?
Sexualität ist heute längst kein Tabuthema mehr. Vielmehr ist sie allgegenwärtig – überall im Alltag, ob wir wollen oder nicht. Durch die Medien werden wir regelrecht davon überschwemmt: Da schmachten uns beispielsweise in sexy Dessous gekleidete Frauen von riesigen Plakatwänden entgegen, die eigentlich Winterstiefel oder Telefontarife bewerben. Sexualität lässt sich eben gut vermarkten!
Auch wir „Normalverbraucher“ zeigen uns gern als offene und liberale Menschen, die die Prüderie unserer Großeltern hinter sich gelassen haben. So wissen wir längst, dass Sexualität zu den Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Wärme und Licht gehört und somit nichts ist, dessen wir uns schämen müssten. Ja, wir stehen zu unserer Sexualität! Und doch kennen wir alle diese Unsicherheit und Schamhaftigkeit, wenn es um DAS Thema geht. Da drucksen wir herum und es fällt uns schwer, geeignete Begriffe zu finden… Das hat auch seine Berechtigung, seinen guten Sinn, ist die menschliche Sexualität doch etwas sehr Sensibles, etwas, das Schutz und Vertrautheit ebenso braucht wie feinfühlige Beachtung.
Aber was ist mit unseren Kindern? – hören wir oft. Sollen die wirklich schon im zarten Kleinkindalter mit „sowas“ konfrontiert werden? Ist die Geschichte mit dem Klapperstorch oder den Bienchen nicht eher geeignet, um Kindern auf die Frage zu antworten, wie denn das kleine Geschwisterchen in Mamas Bauch gekommen ist?
Bevor Sie jetzt weiterlesen: Lehnen Sie sich doch einmal kurz zurück und überlegen Sie, was Ihnen einfällt auf die Frage „Was ist das eigentlich – Sexualität und in welchem Alter geht das los?“
„Sexuell“ heißt nichts anderes als „geschlechtlich“, also schon allein die Tatsache, dass jedes Kind entweder als Mädchen oder als Junge auf die Welt kommt, ist eine Frage der Sexualität. Das heißt auch, dass unsere Kleinen schon von Anfang an sexuelle Wesen sind.
Aber es hört ja nicht beim „kleinen Unterschied“ auf! – Was heißt „Sexualität beim Kind“ und wie äußert sich diese? Was unterscheidet kindliche von Erwachsenensexualität? Wie gehen wir damit um? Was dürfen Kinder und was dürfen wir ihnen vermitteln? Wovor müssen wir unsere Kinder schützen und wo sind die Grenzen? Wie ist das mit den sogenannten “Doktorspielen“? Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind sich ungehemmt selbstbefriedigt? Wer ist für die Aufklärung und Sexualerziehung „zuständig“ – Eltern, Kita, Schule? Wann soll man damit anfangen? – Viele Fragen bewegen uns rund um dieses Thema.
Unser Erziehungs-Knigge wird in diesem Jahr – neben vielen anderen Themen – eine kleine Reihe von Beiträgen rund um das Thema Kindheit und Sexualität behandeln.
Kindliche Sexualität ist anders
Je jünger die Kinder, umso selbstverständlicher und umso ungetrübter ist die Freude am Erkunden und Entdecken des eigenen Körpers. Eine junge Mutter hat mir ihre Beobachtungen einmal mitgeteilt:
„Begeistert und fasziniert beobachten wir, wie Mäxchen (10 Monate) immer wieder zufrieden vor sich hin brabbelnd seine Finger und Zehen erkundet, sie hin und her biegt, daran nuckelt, als wären sie das tollste Spielzeug auf der Welt, wie er voller natürlicher Neugierde den eigenen Körper erforscht. Und erst, wenn er nackt ist… Da strampelt und quietscht er vergnügt vor sich hin – voller Lust und Wonne. Vor ein paar Wochen hat er den Zipfel zwischen seinen Beinen entdeckt und wir beobachten jetzt öfter, wie er damit spielt. Das scheint ihm viel Vergnügen zu bereiten: er lacht und manchmal wird sein Blick ganz verklärt. Da frage ich mich immer: Was macht er da? Irgendwie berührt mich das seltsam, dass mein unschuldiges Baby schon so etwas wie sexuelle Lust zu empfinden scheint. Dann versuche ich ihn abzulenken, seine Aufmerksamkeit auf Anderes zu lenken. Ist das richtig?“
Ganz früh schon entdecken Kinder, dass sie sich selbst durch Berührungen des eigenen Körpers tolle Gefühle verschaffen können. Und wenn sie einmal entdeckt haben, was sich gut anfühlt, werden sie sich dieses angenehme Gefühl wieder und wieder verschaffen. Das geht für uns in Ordnung: Wir sehen, wie die kleine Mathilde sich durch Bauchstreicheln beruhigen lässt und an der Brust nuckelnd zufrieden einschläft, wie Paul sich selbst beruhigt, indem er an seinen Fingern nuckelt, wie Benny vor dem Einschlafen sein Ohrläppchen zwischen den Fingern rollt. Und wir sehen, wie zufrieden und glücklich die Kleinen dabei sind oder dadurch werden. Wenn wir hören, dass es dabei um Lustgewinn geht, können wir auch noch mitgehen.
Problematisch wird es für uns, wenn die Kleinen die in unseren Augen weniger neutralen Körperteile zum Spielen, Fummeln, Streicheln wählen: wenn sie an ihren Genitalien manipulieren oder sich an Gegenständen reiben, um sich genital zu stimulieren. – Merken Sie es? An dieser Stelle wird die Sprache sachlich, hölzern, jetzt tun wir uns schon schwer, locker und voll Freude von der Entdeckerfreude unserer Kleinen zu schwärmen. Jetzt wird es unbehaglich. Jetzt ist Schluss mit lustig!
Und warum? – Weil wir beim Thema Sexualität und sexuelle Berührungen an unsere eigenen Erfahrungen damit denken, an schöne und weniger schöne, an zielgerichtete Erregung, an sexuelle Vereinigung mit einer Partnerin / einem Partner, an Orgasmus. Und das hat – bitteschön – doch wohl nichts mit unseren Kleinen zu tun!? Richtig! Kindliche Sexualität unterscheidet sich grundlegend von der Sexualität, die wir als Erwachsene leben.
Ja, auch Kinder haben eine Sexualität – auch Kinder verspüren sexuelle Erregung und Lust, aber anders als Erwachsene: ihre Sexualität ist „autoerotisch“, das heißt nur auf sich selbst, auf den eigenen Körper bezogen und nicht auf eine andere Person. Wenn ein Kleinkind also sichtlich lustvoll und mit Genuss an seinen Genitalien spielt, so hat dies dieselbe Bedeutung wie Bauch-Streicheln, Finger-Nuckeln oder Ohrläppchen-Rollen.
Sexualität ist der (angeborene) Motor, sich angenehme Gefühle immer wieder zu verschaffen. Aber anders als bei uns Erwachsenen geht es bei Kindern um ein neugieriges Erforschen, ein ungerichtetes Genießen, um ein sinnliches „In-der-Welt-Sein“.
Liebe Eltern, genießen Sie die Freude Ihrer Kleinen am Entdecken ihres Körpers, ihre unschuldige Körperlichkeit und Sinnlichkeit ohne Scham oder „verbotene“ Körperzonen. Gönnen wir ihnen die endliche Zeit im Paradies.
Uta Troike, Psychologin im Kinderarche Sachsen e.V.