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Großbaustelle Denkorgan: Pubertät als kreatives Chaos

Was denken Sie, wenn in Gesprächen das Wort Pubertät fällt? Übermannt Sie ein Stöhnen, weil Ihr Sohn oder Ihre Tochter immer unberechenbarer erscheint? Keiner Ihrer Versuche, Vernunft zu vermitteln, auf irgendeine Reaktion stößt außer der, dass Sie doch einfach nur nerven?

Im Kinderarche-Knigge „Hilfe: Pubertät!“ schrieb Andrea Dolatkiewicz von den auf Krawall gebürsteten Koalitionspartnern, zu denen durchzudringen gar nicht so einfach ist und die einer Menge Gelassenheit, Konsequenz und Ausdauer bedürfen. Ausdauer auch im Hinblick darauf, dass die Zeit der Pubertät mit all ihren Erfordernissen und Schwierigkeiten nicht zu umgehen ist, sondern einen besonders wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem selbstverantworteten und -bestimmten Erwachsenenleben ist.

Dafür tut unser Gehirn einiges und verwandelt sich in eine zunächst unübersichtliche und jeden Tag neu gestaltete Großbaustelle. Der Auftrag des Bauherrn Entwicklung lautet schlicht: Entrümpeln, effizienter gestalten und sinnvoll vernetzen. Raus mit allem, was nicht gebraucht wird. Und hier liegt gemäß der heute möglichen Hirnforschung ein enormes, mitunter verkanntes Potential: Ein besonders hohes Maß an Kreativität und Schöpfungskraft – sofern Bedingungen geschaffen sind, in denen diese wirksam werden können.

Das erscheint schwer vorstellbar – denkt man nur an die Jugendlichen, die sich tagelang im Bett räkeln und nichts weiter tun als chillen und Salamibrote tilgen. Und dennoch – neben allen Herausforderungen ist Erfindungsreichtum, Querdenken, Bestehendes vehement hinterfragen und Visionen entwickeln in der Lebensphase der Pubertät leichter möglich als in allen anderen Lebensphasen. Warum das so ist? Lassen Sie uns einen Blick in die Reifung des Gehirns werfen und in diesem Sinne einen Perspektivwechsel auf die Dramen der Pubertät wagen.

Als erstes vielleicht so viel: Das Gehirn dieser chillenden Salamibrot-Tiger ist einfach viel leistungsfähiger als das vernünftiger Menschen. Im Pubertätsalter ist das Leistungsvermögen des Gehirns am größten im Vergleich zu allen anderen Lebensphasen. Im Verlauf der Kindheit werden in etwa 60 Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn ausgebildet. Dabei entstehen vielfältige Auswüchse und Verzweigungen. In der Phase der Pubertät ändert sich dies, indem wichtige Nervenfasern mit einer speziellen Substanz ummantelt werden und in der Folge Signale um 100-mal schneller übertragen werden können. Weniger benötigte Nervenbahnen werden dagegen abgebaut. Bis zum Alter von 25 Jahren verläuft dieser Prozess mehr oder weniger intensiv.

So weit so gut, es wird also schneller übertragen. und mit dieser Flexibilität des Gehirns und den unfassbaren Datenübertragungsraten müssen die Jugendlichen lernen umzugehen. Vielleicht so ähnlich wie der Umstieg von Modem auf DSL-Geschwindigkeit in den 2000er Jahren für uns. Aber eben genau darin liegen auch, wie bei Modem und DSL, die Potentiale verborgen. Es entsteht eine Flexibilität und schöpferische Kraft ungeahnten Ausmaßes. Komplexe Probleme zu lösen, Computerprogramme zu bedienen oder auch Musikinstrumente lernen – alles kein großes Problem. Das Gehirn macht es möglich. Es bietet nicht – und so interpretieren wir Eltern es ja häufig – nur Platz für Fehlentscheidungen, sondern vor allem für schöpferische Glanzleistungen. Steve Jobs, Bill Gates, Larry Page und Mark Zuckerberg – wir wissen nicht, wie ihre Eltern in der Phase der Pubertät gelitten haben. Aber wir finden in ihnen die Bestätigung schöpferischer Glanzleistungen.

Deshalb unser Rat an Sie, liebe Eltern: Wenn sich das Gehirn neu und intensiv strukturiert und zukunftsfähig macht, ist es wichtig, dass Sie es schaffen, sich auf ihre Begleit- und Kontrollfunktion in der Erziehung zurückzuziehen. Auch wenn es gerade in chaotisch anmutenden Situationen schwer fällt, ist es jetzt an der Zeit, Bevormundungen zu unterlassen und mit Ihren Kindern in einen Dialog einzutreten, in dem sie Ihrer Lebenserfahrung in Argumenten Ausdruck verleihen. Kinder streben nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit – und es wäre paradox, diese nur nach den Bedingungen der Eltern zu gestalten.

Angelika Welke, Einrichtungsleiterin Integrative Familienbegleitung im Kinderarche Sachsen e.V.

Gregor Bärsch, Einrichtungsleiter Radebeuler Wohngruppen

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