Auf eigenen Füßen stehen – und dann die Suppe auslöffeln…
Manchmal ist dieser Tag lange geplant, manchmal kommt er ganz unerwartet: Unser Kind zieht aus. Na ja, unser „Kind“: Da steht auf einmal ein junger, ziemlich erwachsen aussehender Azubi vor uns, der nun seine Ausbildung in einer fremden Stadt beginnt oder eine junge Studentin, die aussieht, als wäre sie vom Titelblatt einer Illustrierten gestiegen – oder so, als wolle sie unbedingt vermeiden, jemals dahin zu kommen – natürlich sind sie unser Kind, wir wollen nur das Beste für sie und haben sie vielleicht im „Hotel Mama“ (und sicher auch im „Hotel Papa“) etwas verwöhnt und nun ziehen sie fort? Wie sollen sie nur ohne uns zurechtkommen? Am besten, wir fahren gleich nächstes Wochenende mal hin und packen was Gutes zu essen und frische Wäsche ein…
Dies ist der sicherste Weg, vom „Kind“ laute Proteste, zumindest jedoch genervte Blicke zu bekommen. Aber wir meinen es doch nur gut! Wir wollen doch nur das Beste! Und woher wollen wir denn wissen, ob unser Kind das alles auch allein packt?
Ja, woher – wenn wir ihm nicht die Möglichkeit geben, es uns zu zeigen? Wie kann es sich auf diesen Tag langfristig vorbereiten und wie helfen wir ihm am besten dabei – ganz unauffällig, versteht sich?
So seltsam es klingen mag: Machen wir doch erst mal für uns (im stillen Kämmerchen) einen Plan. Was muss man können, um auf eigenen Füßen zu stehen und den Alltag zu meistern?
Einkaufen
Unsere Vorfahren gingen jagen und sammeln, wir entern den Supermarkt, suchen nach Beute und laden mit ihr den Einkaufswagen voll. Im Unterschied zu ihnen müssen wir freilich für unser Jagdvergnügen mit Geld bezahlen…
- Bewusst einkaufen: Der gute alte Einkaufszettel mit ungefährer Preisangabe (analog oder auf dem Smartphone) ist ein hilfreiches Werkzeug, um im Rahmen des vorhandenen Budgets zu bleiben und manchem verlockenden Sonderangebot widerstehen zu können. Zumindest haben wir damit unsere Einkäufe unter Kontrolle – wenn er nicht zu Hause liegen bleibt…
- Preisvergleiche: Dabei geht es nicht in erster Linie darum, ein Geschäft nach dem anderen abzusuchen, um das günstigste Angebot eines Artikels zu finden. Es ist viel wichtiger, im Supermarkt mit seinen vielfältigen Angeboten den Preis einer Packung vergleichen zu können, indem man seine Augen in die Hand nimmt und im Kleingedruckten auf dem Preisschild den 100 g-, 1 kg- bzw. 1 l-Preis entziffert. Erst das macht dort einen Preisvergleich überhaupt möglich.
- Nicht hungrig einkaufen: Wir verhalten uns häufig wie unsere Vorfahren in der Steinzeit: Haben wir Hunger, jagen wir mehr…Und wahrscheinlich achten wir dann auch weniger auf die Inhaltsstoffe.
- Kosmetik: Bei Kosmetik sind vielfältige Verwendbarkeit (Universalcreme statt mehrerer Spezialprodukte) und Hautverträglichkeit wichtig.
- Qualitätsvergleiche bieten z.B. „Stiftung Warentest“ oder die Zeitschriften wie „Ökotest“ und „Guter Rat“. Oft kann man sich über die Qualität bestimmter Produkte auch auf ihren Online-Plattformen informieren. Und diese Qualität muss nicht unbedingt teuer sein… Erwiesen hat sich auch, dass Diskounter- Produkte durchaus von hoher Qualität sein können.
Kochen
Wenn Aliens unsere Fernsehprogramme sähen, müssten sie glauben, dass wir Menschen uns ständig gegenseitig umbringen, gern Leuten beim Reden zusehen und ansonsten hintereinanderweg kochen. Die Realität sieht anders aus: Die Mordrate sinkt, am liebsten hören wir uns selbst reden und das Kochen findet als Aufwärmen in der Mikrowelle statt. Die Alternative für Jugendliche findet sich als Nummer des nächsten Pizzaservice auf dem Smartphone – mit negativen Folgen für Body-Maß-Index und Haushaltbudget.
- Kochen lernen: Gönnen wir unseren Kindern einen Grundkochkurs, lassen wir gegebenenfalls dafür die Oma einfliegen:
- Wie kocht man Sachen für eine oder zwei Personen, preisgünstig, frisch und schnell?
- Wie kann man Fertiggerichte mit Gemüse und Kräutern aufpeppen?
- Was tun mit Resten?
- Schenken Sie Ihren Kindern eine sparsame, aber große Kühl-Gefrierkombination und eine Großpackung fest verschließbarer Plastebüchsen zum Auszug. Wenn beides sinnvoll genutzt (und gelegentlich gesäubert) wird, hilft das sparen.
- Und apropos Suppe: Es schadet nicht, sich einen kleinen Vorrat an Tütensuppen zuzulegen, damit in finanziellen Notzeiten noch etwas zum (Aus-)Löffeln da ist…
Waschen, Trocknen und Bügeln
Die Wäsche in die Maschine stopfen ist noch die leichteste Übung: Bettwäsche mit den Überresten des letzten Frühstücks, verschwitzte T-Shirts, ach, die Jeans sind auch dreckig: Einfach alles rein? Kann man machen, wenn man zartblaue Bettwäsche und weiße Tempotaschentuchkrümel in T-Shirts mag. Wenn nicht:
- Fürs Wäsche waschen reicht ein Colorwaschmittel, Weichspüler ist eher überflüssig, außerdem beeinträchtigt er die Feuchtigkeitsaufnahme des Gewebes.
- Verfärbungen vermeiden: Wäsche sortieren, mal einen Blick aufs Etikett werfen und Pflegehinweise beachten.
- Umwelt schonen und Schimmel in Räumen vermeiden: Wenn es geht, draußen trocknen (vorher Wetterbericht checken…) und regelmäßiges „Stoßlüften“ in der Wohnung.
- Bügeln üben: Gelegentlich braucht man mal ein Kleidungsstück, welches mit Falten nicht gut aussieht… Und: ein Oberhemd oder eine Bluse sind (bei etwas Übung) in vier Minuten gebügelt!
Finanzen
Natürlich kennen wir das alle selbst: Am Ende vom Geld ist noch zuviel Monat übrig. Also:
- Geld für eine Woche einteilen und auch nur dieses in dieser Woche ausgeben: Das klingt einfacher, als es ist. Schließlich lauert das Unvorhergesehene zu jeder Sekunde hinter jeder Ecke und ist immer fürchterlich dringend. Gut, wenn unser Kind vorher gelernt hat, „Jetzt nicht!“ zu sagen. (Auf youtube finden Sie hierzu interessante Videos: Marshmellow-Test, sehr empfehlenswert dort die Sendung mit Walter Mischel: „Sternstunde Philosophie“, 22.3.2015, SRF Kultur).
- Fixkosten im Blick behalten (und Kündigungstermine für mögliche Tarifwechsel): Hier noch eine Flatrate und da noch der Mitgliedsbeitrag fürs Fitnessstudio, Kabelfernsehen und – ach ja, die Miete ist auch wieder fällig: Wer seine Fixkosten einfach mal notiert und dann addiert, wird vielleicht erstmal erschrecken, dann aber entscheiden können, was davon wirklich gebraucht wird. Lebensnotwenige Zahlungen (Miete, Energie usw.) per Dauerauftrag oder Einzugsermächtigung überweisen lassen – so werden sie nicht vergessen.
- Nur wichtige Versicherungen abschließen: Junge Menschen müssen zwei Risiken versichern:
- Berufsunfähigkeit (egal, wodurch verursacht) und
- Haftung (für selbst verursachte Schadensfälle, mit unbegrenzter Deckung)
Das ist „Pflicht“, weil die eigene Existenz davon abhängt, alles andere „Kür“, falls man Geld übrig hat und es für ein noch sanfteres Ruhekissen ausgeben möchte.
- Kontrolle über eigene Finanzen behalten
- Nie Verträge am Telefon abschließen! In dieser Situation sind Vergleiche nicht möglich.
- Kontoauszüge regelmäßig kontrollieren! Wenn sich Gangster in ein Konto gehackt haben, ist es wichtig, verdächtige Zahlungen sofort zu erkennen, um sie rückgängig machen bzw. Anzeige erstatten zu können.
Und es macht Sinn, zumindest am Beginn des Singledaseins ein Haushaltbuch zu führen, vielleicht per Hand in einem Heft, vielleicht mit Hilfe eines Computerprogramms. Das hilft, den Überblick zu behalten.
Reinigung
- Hausschuhe tragen: Dreck, den man nicht in die Wohnung hineinträgt, muss man nicht saugen!
- Wenige Grundreinigungsmittel reichen: Spülmittel, Universalreiniger, Essigreiniger (wann immer es um Kalk geht), Fensterputzmittel – das reicht. Wenn der Teppich gereinigt werden muss: Reinigungsmaschinen kann man in Drogerie- oder Baumärkten ausleihen, teilweise kostenlos – bis auf das Reinigungsmittel… Und: Flecken, Krümel & Co. gleich entfernen verringert die Notwendigkeit späterer Großaktionen.
- Auf antibakterielle Reinigungsmittel verzichten: Mit ihnen macht man die Bakterien widerstandsfähiger. Es ist grundsätzlich nicht nötig, Alltagsgegenstände zu desinfizieren, Seltene Ausnahmen (z.B. im Krankheitsfall) bestätigen die Regel.
Ökologisches Handeln
- Müll trennen ist gut – Müll vermeiden ist besser.
- Der wichtigste Beitrag zur Energiewende ist das Sparen von Energie und das wird außerdem noch vom eigenen Geldbeutel belohnt.
- Umzugskartons mehrfach verwenden – unsere Kinder sollten schauen, welche ihrer Freunde welche gebrauchen können.
Umgang mit Behörden
- Meldepflicht beachten: Nächstes Bürgerbüro aufsuchen (leibhaftig oder im Internet) und erfragen, welche Formalitäten (z.B. Anmeldung, Personalausweis oder Pass beantragen) dort erledigt werden können.
- Sich trauen, nachzufragen, wenn man was nicht verstanden hat oder beim Ausfüllen von Formularen Hilfe braucht.
- Briefe von Behörden sofort beantworten - schützt vor Mahngebühren
Engagement für die Gesellschaft
- Teilnahme an Wahlen: Sinn macht die Beantwortung der Fragen im Wahl-O-Mat (Internet). Der zeigt uns, welche Partei unsere politischen und gesellschaftlichen Interessen am ehesten vertritt. Wenn man am Wahltag nicht zu Hause ist: Briefwahlunterlagen anfordern. Dies ist in vielen Gemeinden im Internet möglich.
- Gesellschaftliches Engagement: Leserbriefe schreiben, Online-Petitionen unterzeichnen, an Demonstrationen teilnehmen, in einen Verein eintreten oder einen gründen – es gibt vielfältige Möglichkeiten, eigene politische Auffassungen entsprechend den im Grundgesetz verankerten Freiheiten in der Wirklichkeit umzusetzen oder sich ehrenamtlich zu engagieren.
Diese Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn unsere Kinder aber diese Vorschläge beachten, werden sie eine Reihe von Alltagsproblemen entschärfen können. Für sie bleiben immer noch genug Fehler übrig, die sie machen können, um aus ihnen etwas lernen zu können.
Ermutigen Sie Ihre Kinder dazu und bleiben Sie gesprächsbereit. Ich bin sicher, dass Ihr Kind Ihnen dann eines Tages stolz sein WG-Zimmer oder seine eigene Wohnung zeigt und zum Kaffeetrinken einen selbst gebackenen Kuchen auf den Tisch stellt. Und wenn er selbst gekauft ist – auch gut…
Bernd Friedrich, Diplompsychologe