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Die Chancen der Digitalisierung

„Früher hat es das nicht gegeben…“  und „furchtbar“ höre ich oft, wenn das Thema auf neue Medien, Digitalisierung, Smartphones, Videospiele und die „Jugend von heute“ kommt. Klar, früher hat man auch mit dem Waschbrett gewaschen und ist sehr froh, dies heute nicht mehr tun zu müssen. Die Welt dreht sich weiter und verändert sich … und wie so oft wird Neues und Unbekanntes erst einmal abgelehnt, ob aus Unwissenheit oder Furcht vor Veränderung. Über die Gefahren einer Digitalisierung der Kinder und Jugendlichen wurde schon viel geschrieben. Ich kann den sogenannten neuen Medien auch Positives abgewinnen.

Mein Jüngster lernt gerade sehr mühsam die Schulausgangsschrift. Die Schreibübungen der Buchstaben waren oft Anlass für Stress und Frust auf beiden Seiten des Küchentisches… bis ich die Tablet-App „Schreibreise“ fand. Sie wurde von Grundschulpädagogen und Programmierern gemeinsam entwickelt und lange getestet. Mit dem Touchpen (den es auch als richtigen Kinderfüller mit Griffmulden gibt) wird das Kind spielerisch an die Schreibschrift herangeführt. Ein kleiner Pirat lobt, wenn die Linien richtig nachgezogen wurden oder ermuntert für einen neuen Versuch, wenn es noch nicht so richtig geklappt. Es gibt „Belohnungen“ und so reist man durch die Welt und entdeckt nach und nach alle Buchstaben und zwar in der Reihenfolge, wie sie auch in den meisten Grundschulen gelehrt wird. Und nebenbei, fast aus Versehen, wird das Buchstaben-Malen flüssiger und sicherer, auch im richtigen Deutsch-Heft.

Oder haben Sie schon einmal probiert, sich auch mit einem DS zu bewaffnen und sich mit dem (DS) des Kindes zu „verbinden“ um dann gemeinsam ein Autorennen zu fahren? Muss nicht gegeneinander sein, man kann auch ein Team bilden und gemeinsam kämpfen, sich gegenseitig helfen und zusammen am Ende auf dem Siegertreppchen stehen. Es ist wunderbar für das Kind, wenn es den Eltern Fingerfertigkeit voraushat und erlebt, wie sich Mama oder Papa Zeit nehmen und sich dafür interessieren, was für das Kind gerade total angesagt ist.

Oder beim Pokémon-Go-Hype… Plötzlich konnte ich meinen Mittleren ohne Mühe dafür begeistern, mit mir unsere Gegend zu erkunden. Und zwar joggend! Klar, wir mussten immer mal kurz stehenbleiben und so ein Tierchen einfangen, aber zwischendurch hatten wir ganz viel Zeit zum Quatschen (sofern die Luft reichte) und am Ende war manchmal sogar ein 5 km-Ei ausgebrütet.

Er liest jetzt übrigens auch wieder ganz viel. Ja, es sind Bücher über Minecraft, wie man irgendetwas ganz großartig erbauen kann und mit welchen Kniffen und Drehs das Spiel noch spannender und besser wird. Aber was soll’s – er liest! Seinen Papa hat er in „Clash of Clans“ eingeführt, ganz behutsam, Papa ist nicht mehr der Jüngste. Und als er es dann einigermaßen beherrschte, wurde Papa sogar in den Clan aufgenommen und darf mit meinem Sohn und seinen Klassenkameraden zusammen Strategien entwickeln, Rohstoffe tauschen und sich gegenseitig zu Hilfe kommen. Oder auch mal zusammen traurig und frustriert sein, wenn eine Schlacht verloren ging.

Wenn wir zusammen Abendbrot essen und plötzlich fehlen Informationen oder wir sind uns nicht einig, warum irgendwas ist, wie es ist oder wie hoch irgendetwas ist oder woher irgendetwas kommt – dann googeln wir manchmal ganz schnell getreu dem Motto „Man muss nicht alles wissen, aber wissen, wo es steht!“ Diese Möglichkeit der schnellen Informationsbeschaffung kann Gespräche beleben und erheitern und für weiteren Gesprächsstoff sorgen.

Wenn ich meinen Großen, fast Volljährigen, in seiner Facebook-Aktivität verfolge, erfahre ich ganz viel über ihn, was ihn gerade interessiert, wofür er sich einsetzt, welche politischen Ansichten er teilt und wer gerade zu seinem angesagten Freundeskreis gehört. Na klar, in einem persönlichen Gespräch bekommt man das auch alles heraus, ABER haben Sie schon einmal versucht, längere Gespräche über Einstellungen und Interessen mit einem Jugendlichen zu führen, der einen ganz anderen Schlaf-Rhythmus hat als seine Eltern? Der manchmal nur aus dem Zimmer kommt, wenn der Hunger zu groß ist, der Lieblings-Pulli nicht zu finden ist oder er irgendeine Unterschrift für die Schule braucht? Ich kann im „echten“ Leben kaum dabei sein, wenn er gegenüber Fremden oder Freunden seine Meinung vertritt, sich für oder gegen etwas stellt und Argumente austauscht. Über Facebook bekomme ich mit – er hat ja meine Freundschaftsanfrage bestätigt – Puh – wie er mit Hass-Kommentaren oder Beleidigungen umgeht, wie er digital diskutiert mit Gleich- oder Andersgesinnten. Manchmal gelingt ihm das schon sehr gut, was mich sehr stolz macht. Und manchmal lässt er sich reizen, wird sarkastisch und ja, manchmal ebenso beleidigend wie andere Schreiber. Dann rede ich mit ihm darüber, über Diskussionsregeln, über den feinen Unterschied von gnadenloser Wahrheit und im richtigen Moment einfach auch mal Nix zusagen, über die Macht der sozialen Medien und die Gefahr, sich in deren Anonymität zu verstecken. Manchmal schreibe ich dann auch über Whatsapp… Das kann er nämlich sich in Ruhe durchlesen und durch den Kopf gehen lassen, ohne sofort darauf reagieren zu müssen.  

Überhaupt Whatsapp oder andere Messenger-Dienste… Sind doch nicht nur schlecht. Schnell mal Fotos im Familien-Chat posten; schauen, ob die Nachtruhe eingehalten wurde ähm wann das Kind zuletzt online war (sofern es diese Funktion nicht deaktiviert hat), kurze Absprachen mit dem Kind treffen, wann es wo abzuholen ist und ob alles gut ist im Urlaub/auf dem Ausflug/der Veranstaltung – und das auch ohne Handy-Guthaben oder einem evtl. „uncoolen“ Telefonat vor Kumpels mit der besorgten Mama.

Kurzum, die Digitalisierung der Welt kann nicht ignoriert werden und macht auch keinen Halt in der Erziehung unserer Kinder. Verteufeln hilft nicht, nur ein Auseinandersetzen damit und ein Annehmen und Nutzen unter bestimmten Regeln. Eine ganz einfache ist zum Beispiel „Wenn die Sonne scheint, funktioniert nichts mit Strom“. Und immer schön an unsere Vorbildwirkung denken getreu dem Ausspruch von Karl Valentin: „Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.“. Denn wenn ich als Eltern als erstes morgens auf das Display schaue, ob ich neue Nachrichten oder Emails habe oder um herauszufinden, wie warm es heute ist, die Wetter-App öffne… Whatsapp, Facebook und Co kann die persönliche Kommunikation mit den eigenen Kindern ergänzen, darf sie aber nicht ersetzen! Kuscheln, Toben und gemeinsam im Kinderzimmer bauen / puzzeln / basteln / spielen funzt immer und ist zeitlos hamma de luxe.

Andrea Dolatkiewicz, Einrichtungsleiterin im Naturkinderhaus Mulda

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