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Ilka Meffert

Wie lautes Denken helfen kann

„Also: Jetzt brauche ich die großen Schrauben!“ Ich greife in den Plastebeutel mit den beigefügten Holzdübeln, Schrauben und Bolzen. Wäre doch gelacht, wenn ich den Großintelligenztest eines skandinavischen Möbelhauses nicht knacken würde. „Verdammt, welches von den Teilen muss ich denn nun zusammenschrauben, das hier oder das – wie ist das gleich in der Anleitung, aha, und das hier passt anscheinend – probieren wir’s mal, Versuch macht klug.“. Der letzte Satz bestätigt sich, was ich mit nicht recht druckfähigen Ausdrücken kommentiere. Warum nur wähle ich beim Aufbau von Möbeln unter zwei (oder mehr…) möglichen Alternativen des Zusammenbauens fast immer zuerst die, die ich dann wieder auseinander nehmen muss?

Aber immerhin weiß ich nun, wie’s nicht geht. Ich überlege und merke, wie ich wieder vor mich hin murmele: „Also, wenn es das Teil nicht ist, dann wahrscheinlich das – aha, na eben, warum hab ich das denn nicht gleich gesehen…“ Und der Rest ist dann auf einmal sonnenklar, schnell noch die Inbusschrauben festgezogen, und dann habe ich mir eine ausführliche Sitzprobe redlich verdient.

„Papa, was quatschst Du denn andauernd, wenn Du arbeitest? War lustig!“ fragt mein Sohn. Oh, da hat er mal wieder mehr mitgekriegt als das, was er sollte. „Bist Du denn mit Deinen Hausaufgaben schon fertig?“ versuche ich abzulenken. „Ach, diese verdammten Sachaufgaben!“ sagt mein Sohn. „Verdammt sagt man nicht“, erziehe ich. „Habe ich aber gerade von Dir gehört… Weißt Du, die Erklärungen für die Aufgaben sind so lang und durcheinander, wenn ich angefangen habe, weiß ich irgendwann gar nicht mehr, wie es weitergeht.“

Die Rettung – er hat ein echtes Anliegen und ich habe einen konkreten Vorschlag, wie er sein Problem lösen kann: „Weißt Du“, sage ich, „mach’s wie ich eben oder wie Mama, wenn sie ein neues Kochrezept ausprobiert: Rede über das, was Du gerade tust“. Und dann erkläre ich ihm den Sinn dieses lauten Denkens: Wenn wir Probleme lösen, nutzen wir unser Arbeitsgedächtnis. Dort vergleichen wir, ziehen Schlussfolgerungen, verändern Reihenfolgen oder führen mathematische Operationen aus.

Allerdings ist die Kapazität dieses Arbeitsgedächtnisses begrenzt: Erwachsene können durchschnittlich etwa 3 bis 5 einzelne unverbundene Elemente (z.B. Ziffern, Sachverhalte, Denkinhalte) gleichzeitig darin behalten, freilich nur für kurze Zeit; bei Kindern ist diese Menge oft noch geringer.

Was das bedeutet, wurde wunderbar in einem alten Psychologie-Lehrbuch veranschaulicht und zwar mit einer Zeichnung, die eine Tischlerwerkstatt zeigte. Die Werkbank hatte ein Schild: KZG – Kurzzeitgedächtnis (eine ältere Bezeichnung für das, was wir heute meist Arbeitsgedächtnis nennen) und der Platz darauf war begrenzt. Aber vorn wurden auf die Werkbank ständig neue Werkstücke gelegt. Was hinten lag, fiel dann runter und war unwiderruflich weg.

Wie kann man nun diese Gedächtnisinhalte solange speichern, bis man sie braucht? Da gibt es eine Lösung: Wenn man sie sprechend wiederholt, nimmt man sie sozusagen hinten von der Werkbank weg und packt sie vorn wieder hin – und damit bleiben sie fürs Denken verfügbar.

Dann machen wir ein Experiment: Ich lege acht Memory-Karten vor ihn hin und fordere ihn auf, sich die Bilder und deren Reihenfolge zu merken. Scheint kein Problem zu sein, als ich aber die Karten wegnehme und ihm dann einen gemischten Stapel mit diesen acht und weiteren Bildern  in die Hand drücke mit der Bemerkung: „Nun leg sie doch mal in der gleichen Reihenfolge hin, wie sie vorher lagen!“, klappte das nur bei den ersten vier, dann gab’s ein rechtes Durcheinander… Zweiter Versuch: Wieder acht Karten, nun aber die Aufforderung: „Sag laut, was auf diesen Karten abgebildet ist, genau von links nach rechts!“ Diesmal waren sieben richtig. Das kann man damit erklären, dass Worte in einem sogenannten „episodischen Puffer“ gespeichert werden, die dann recht zuverlässig der weiteren Bearbeitung der Anforderung zur Verfügung stehen.

Ja, und dann erzählte ich ihm noch von Pjotr Jakowlewitsch Galperin, der festgestellt hatte, dass man jede Lernhandlung auf verschiedenen Ebenen ausführen kann:

  1. Praktisch gegenständlich:

Ich nehme zwei Äpfel von der einen Seite des Tisches und drei von der anderen, lege sie in einen leeren Korb und zähle darin nun fünf Äpfel.

  1. Äußere Sprache:

Ich begleite mein Handeln mit Sprechen und kann schließlich die Aufgabe rein sprachlich (ohne praktisch-gegenständliche Handlung) lösen: „Zwei Äpfel und drei Äpfel sind zusammen fünf Äpfel.“

  1. Äußere Sprache „für sich“:

Die Sprache geht in das Denken über, die gedanklichen Operationen werden mehr und mehr verkürzt und schließlich nicht mehr lautsprachlich begleitet: „Zwei plus drei ist gleich fünf“.

  1. Denken:

Die Lernhandlung läuft verinnerlicht und weitgehend automatisiert auf der Ebene des Denkens ab: (2+3=5).

So kann ich mein „äußeres Handeln“ verinnerlichen, also daraus „Denken“ machen. Und es ist sicher einleuchtend: Die ersten Varianten sind leichter als die letzten. Deshalb gilt: Wenn ich mir das Denken erleichtern will, muss ich mir ein Modell bauen und mit ihm praktisch gegenständlich handeln oder wenigstens „laut denken“. „Gut“, sagt mein Sohn, „probier’ ich mal.“ – Sie auch?

P.S. Liebe Eltern, haben sie bitte auch Geduld, wenn Sie nicht verstehen, was ihre Kinder beim Spielen manchmal so vor sich hinbrabbeln. Ob sie richtig artikulieren oder grammatisch korrekt sprechen, ist in diesem Moment zweitrangig: Entscheidend ist, dass Kinder auf diese Weise ganz selbständig die Erfahrung machen, dass mit Sprechen das Lösen von Aufgaben, also auch das dafür nötige Denken leichter und besser gelingt. Und wenn dann noch ein imaginärer Freund mithilft – umso besser! 

Bernd Friedrich, Diplompsychologe in der Kinderarche Sachsen

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