SpendeKnigge

Alle News auf einen Blick

Angelika Welke

Eltern brauchen Geduld und Toleranz für die Experimente ihrer Kinder, sollten sie aber probieren lassen.

Vom Glück des Lassens

Als ich mich an das Verfassen dieses Textes wagte, wurde ich gefragt, was genau ich denn mit „Lassen“ meine. Noch dazu, wenn vom Glück des Lassens die Rede sei. Gute Frage. Zunächst ist es etwas, das sich richtig anfühlt – z.B. unsere Kinder „machen zu lassen“. Ihnen den Raum zu geben, ihre Welt erkunden zu dürfen und daraus ein tief verwurzeltes Selbstvertrauen zu gewinnen (siehe dazu auch Kinderarche-Knigge vom Juni).

Wie aber ist das möglich und welche Lernaufgabe liegt hier für Eltern in einer Welt voller Chancen und Risiken – einer Welt, die uns komplexer erscheint als je zuvor?

Auf die Frage, was für ihn gelassene Eltern seien, antwortet der zehnjährige Johannes: „Wünsche werden immer akzeptiert und es wird darüber nachgedacht, wie man deren Erfüllung erleichtern könnte.“ Was er damit meint, ist keinesfalls, dass ihm jedweder Wunsch von den Augen abgelesen würde, sondern, dass Wünsche nicht bewertet werden, seien sie in den Ohren der Erwachsenen auch noch so abwegig. Es ginge ihm darum, in seinen Äußerungen ernst genommen zu werden.

Kinder brauchen die Chance sich auszuprobieren

Genau hier liegt eine für Eltern mitunter knifflige und für das Gedeihen unserer Kinder essentiell notwendige elterliche Kompetenz. Kinder erforschen ihre Welt auf eine Art und Weise, die noch nicht durch komplexes Erfahrungswissen und Vernunft geprägt ist. Sie brauchen die Chance, sich auszuprobieren, geniale „Erfindungen“ zu erfinden und Erfolge genauso wie Fehler zu feiern und zu erleben. Kinder haben einen riesigen Reichtum an Ideen, Vorhaben und Fantasie und tun nichts lieber, als alles Mögliche auszuprobieren. An uns ist es, dies zuzulassen und vor allen Dingen, sie darin zu unterstützen.

Ob es sich dabei um ein Iglu aus Grashalmen für Ameisen handelt oder das Schnitzen eines Spazierstocks, das Bauen einer Bude im Wald oder die Herstellung einer Masse aus Wasser, Gummibärchen, Sand und Tannennadeln – immer steckt darin eine Vorstellung und eine „unzensierte“ Idee. Denken Sie nur an die leuchtenden Augen eines Kindes, das einen solchen „Kuchen“ stolz präsentiert und sehr gut damit leben kann, dass Sie nur so tun, als würden Sie diesen mit Genuss verspeisen. Kinder häufen auf diesem Weg einen Schatz an positiver Resonanz durch ihre Eltern und Erfahrungen an, der ihnen Neugier und Experimentierfreude erhält, Selbstwirksamkeit ermöglicht und Grundlagen für Freude am Lernen und Verstehen legt.

Nur wer probiert, kann Eindrücke und Erfahrungen sammeln

Wer als Kind viel „rummatschen“, kosten, bauen, schnippeln, Fehler machen und dergleichen durfte, kann neben der motorischen Entwicklung auch sinnliche Eindrücke und Erfahrungswissen sammeln und gleichzeitig eine angemessene Frustrationstoleranz entwickeln. Ein Iglu aus Gras wird sicher vom nächsten Windzug umgepustet und leider wollen auch die Ameisen dort nicht einziehen und laufen weiter unbeeindruckt auf ihrer Straße. Grund genug, sich kurz zu ärgern und dann etwas Anderes in Angriff zu nehmen. Vielleicht gelingt es uns als Eltern in solch einem Moment, sich das Experiment gemeinsam anzuschauen, interessiert nachzufragen, im Wald einen Ameisenhaufen zu suchen und zu beobachten. Wichtig ist, wie Johannes sagte, dass ein Wunsch, eine Vorstellung nicht dadurch außer Kraft gesetzt wird, sie von vornherein ad absurdum zu führen.

Neugier, Entdeckerfreude und auch Selbstwirksamkeitsempfinden brauchen Platz zum Wachsen. Natürlich heißt das nicht, dass man gefährliche Ideen gelassen sehen sollte. Grenzen sind angebracht, wenn sich unsere Kinder in unverhältnismäßige Gefahr begeben. Das Spiel mit dem Feuer ist ganz gewiss kein Spiel für Kinder ohne die Begleitung Erwachsener. Probieren geht nicht immer vor Studieren – manchmal müssen wir eingreifen. Aber auch das heißt Ernstnehmen durch Beschützen und vor allem Erklären.

Im gemeinsamen Tun wächst Beziehung

Worin aber liegt nun das Glück des Lassens? Was ist es, was passiert, wenn man den Sandgummibärenkuchen „nascht“, sich das Iglu aus Gras erklären lässt und Ameisenhaufen im Wald sucht? Neben dem Umstand der Erkundung unserer Umwelt wächst und gedeiht in diesem gemeinsamen Tun Beziehung – Beziehung zwischen Eltern und Kind. Eine Beziehung, die von Vertrauen geprägt ist und von dem guten Gefühl, ernstgenommen zu werden – nicht nur einseitig. Auch unsere Kinder können uns ernstnehmen, wenn wir ihnen mit Respekt begegnen und sie durch sinnvolle Grenzen schützen. Beides, Vertrauen und Ernstnehmen, ist eine wichtige Basis, gelassen zu handeln und sowohl das Potential unserer Kinder als auch ihre „Geschwindigkeit“ und Individualität wahrzunehmen.

Das klingt alles sehr einfach? Ja, das stimmt. In einer Zeit voller Anspannung, in einer herausfordernden Arbeitswelt und unübersehbaren Flut neuer Anforderungen an gesellschaftliches Kommunizieren und Miteinander die Gelassenheit im Kleinen zu finden, erscheint hin und wieder schier unmöglich. Und doch möchte ich Sie ermutigen, gerade deshalb und gerade jetzt insbesondere der Phantasie, Neugier und Entdeckerlust unserer Kinder den Boden zu bereiten. Sie sind die Neugierigen, die Phantasten und Entdecker unserer Zukunft. Und das können sie nur sein, wenn wir ihnen den sicheren Ort der Beziehung, des Vertrauens und Zutrauens so gut wir eben können ermöglichen. Dann kann es unseren Kindern gelingen, sowohl kreativ und neugierig zu sein als auch Notwendiges zu akzeptieren und mit Zuversicht ihren Weg zu gehen. Dann können sie uns in Frage stellen und wissen doch, dass es für sie die Sicherheit der Beziehung gibt.

Ein Gleichgewicht aus Pflicht und Erholung

Dazu nochmals Johannes, der gewissenhaft in Worte gefasst hat, was für ihn wichtig ist und gleichzeitig akzeptabel: „Ich kann sehr viel selbst entscheiden, was ich machen möchte und da werde ich gelassen. Es gibt spezielle Pflichtsachen, und man kann sich darauf freuen, was danach kommt. Dann erledigt sich die Pflicht leichter. Wenn man keine Pflichten hat, sind die Erholungsmomente völlig wertlos – dann wäre man gelangweilt. Es wird schon darauf geachtet, was wir machen. Aber wenn wir was machen wollen, dann dürfen wir das machen. Das Leben besteht ja aus kleinen Momenten…wenn Eltern auch mal verhandeln, einen Plan umzustricken, z.B. erst ausruhen, dann die Küche schrubben.“

In diesem Sinne – bleiben Sie dran. Niemand ist als Vater oder Mutter auf die Welt gekommen. Auch Eltern-Sein will gelernt werden. Ich wünsche uns allen das Glück, hin und wieder und immer öfter gelassen zu sein.

Angelika Welke, Einrichtungsleiterin Integrative Familienbegleitung

Ich danke Johannes für seine offenen Worte.

Newsletter

Erhalten Sie regelmäßig Informationen zur Kinderarche Sachsen e.V.