Es braucht Zeit für Familie, Zeit für Kinder, Zeit für Partnerschaft, aber eben auch Zeit, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Und diese Zeit sollte nicht geprägt sein von schlechtem Gewissen, sondern vom Bewusstsein: Du Mensch neben mir bist es mir wert, dass ich mir Zeit nehme für unser Miteinander.
„Alles zu seiner Zeit …“
Habe ich richtig gehört? Der Vater entschuldigt sich dafür, arbeiten zu gehen? – Es ist 16.00 Uhr mitten in der Woche im Garten unserer Kita. Ein Vierjähriger steht mit trotzigem Blick vor seinem Vater, der ihn pünktlich wie jeden Tag abholen kommt. Bereits eine Stunde zuvor hatte er mir mitgeteilt, dass jetzt sein Vater ihn abholen soll und ich soll mich darum kümmern. Mein Hinweis, dass sein Vater wie immer um 16.00 Uhr kommen würde, war abgeprallt mit dem Kommentar: „Das ist zu spät.“ In der Abholsituation nun bekommt der Vater den Unmut zu spüren: „Du musst mich eher abholen!“, und entschuldigt sich.
Fragen stellen sich mir: Weshalb entschuldigt sich der Vater, wenn es gar keinen Grund gibt – er hat sich an alle Absprachen gehalten. Mit welchem Recht bestimmt ein Vierjähriger über die Abholzeit in der Kita? Wo fängt Beteiligung an und hat ihre Grenzen? Wer bestimmt den Tagesablauf? Welchen Beitrag leistet die gesellschaftliche Diskussion um Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenn Eltern sich entschuldigen für ihren Job und ein schlechtes Gewissen haben, dass sie arbeiten gehen?
Was lernt der Junior in unserem Fall? Alles, was mein Vater macht und nicht zu meinen Wünschen passt, werde ich ab sofort in Frage stellen. Wenn mein Vater dann ein schlechtes Gewissen hat, werde ICH entscheiden, was ich damit mache – vielleicht eine zeitigere Abholung einklagen, vielleicht auch ein Eis als Entschädigung oder später dann mehr Taschengeld oder oder oder … ???
Beteiligung und Mitbestimmung haben wichtige gesellschaftliche Funktionen und sind grundlegend für unsere Demokratie. Voller Überzeugung treten wir dafür ein, dass Kinder mitbestimmen dürfen und sie beteiligt werden. Der für mich wichtigste Satzteil aber ist dabei: „… in den für sie wichtigen Belangen …“ Das heißt: Sie bestimmen bitte nicht über die Arbeitszeit eines Erwachsenen und seinen Job. Kinder haben auch kein Recht auf Beteiligung, wenn es um die Lohnforderungen oder die Krankenkassenwahl geht – oder um die Wahl der Klassenlehrerin. Noch ein Beispiel – Thema Mittagessen: Das Gericht legen wir Erwachsenen fest – oder halten Sie Pommes und Nudeln für die gesündeste Art der Ernährung, die es jeden Tag geben sollte, wenn es nach den Wünschen der Kinder geht? Aber: Wir müssen Kinder fragen, wenn es um die Größe der Essensportion geht und Kinder haben das Recht, etwas, was ihnen nicht schmeckt, auf dem Teller zu lassen.
Zurück zu unserem Beispiel von Vater und Sohn: Ich halte es für sehr bedenklich, wenn ein Vater sich für seine Arbeit entschuldigt. Denn sein Sohn wird schnell lernen, dass Arbeit etwas ist, was den eigenen Interessen im Wege steht. Lust auf Arbeit, Anstrengungsbereitschaft und Motivation, sich mit seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, geraten dann in den Hintergrund. Auf den ersten Blick mag es nett klingen, wenn ein Vater sich entschuldigt, aber hier ist es nicht angebracht.
Das schlechte Gewissen, wenn Arbeit und Familie schwer unter einen Hut zu bringen sind, prägt immer wieder Gespräche zwischen Eltern – und auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern – bis hin zu politischen Diskussionen und Umfragen, was Eltern brauchen, um diesen Spagat zu schaffen. Oft genug wird dann deutlich, dass viele ein schlechtes Gewissen ihren Kindern gegenüber haben – geprägt davon, dass es um ein Grundthema geht: „Ich habe zu wenig Zeit für meine Kinder.“
Dieses Grundthema zieht sich durch, weil es elementar unser Miteinander betrifft: Es braucht Zeit, um die Beziehungen untereinander zu pflegen – Zeit für Familie, Zeit für Kinder, Zeit für Eltern, Zeit für Partnerschaft, aber eben auch Zeit, um den Lebensunterhalt zu verdienen und mit Kollegen. Und diese Zeit sollte nicht geprägt sein von Machtkämpfen und schlechtem Gewissen, sondern vom Bewusstsein: Du Mensch neben mir bist es mir wert, dass ich mir Zeit nehme für unser Miteinander.
Und was kann ich nun tun, um diesen Spagat in meiner Familie gut zu meistern? Qualität statt Quantität ist entscheidend – Zeit, die ich aufmerksam miteinander verbringe:
- Zuhören statt Zudröhnen
- auf Entdeckungen gehen, z. B. Kastanien gemeinsam sammeln, statt die nächste Bildungssendung im Fernsehen zu schauen, was man im Herbst alles machen könnte
- sich in die Augen sehen statt auf das Display des Smartphones
- die Hand reichen statt Geld in die Hand zu drücken für den nächsten „Ersatz-Einkauf“
- bewusst Zeit einplanen mit einem Kind allein – wenn ich mehrere Kinder zu meinem Familienschatz zähle. Da reicht ein! Nachmittag im Monat, der genau für jedes Kind sichtbar im Familienkalender grün eingetragen ist. Jedes Kind wird sich darauf „hin-freuen“ und danach die nächsten Wochen davon zehren – ohne Neid auf die anderen. Übrigens – Schuhe einkaufen allein mit einem Kind zählt da durchaus genauso dazu wie ein Spielplatzbesuch oder der Gang in die Bibliothek. Es müssen keine extra Aktionen sein, sondern eben einfach nur Zeit zu zweit.
- Arbeit genießen und Familie genießen
Alles zu seiner Zeit – das ist die Herausforderung!
Petra Behner, Leiterin Christliche Kindertagesstätte „Unterm Regenbogen“ Sebnitz
u.a. mit Anregungen aus: Valeska Pannier, Sophia Karwinkel (Hg.): Was Kinder wollen und warum wir darauf hören sollten. Argumente und Anregungen für eine kindorientierte frühe Bildung. Deutsche Kinder- und Jugendstiftung 2018