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Ilka Meffert

Ist das noch normal? – Selbstbefriedigung bei Kindern

Ein stark verunsicherter Vater sprach mich einmal an: „Meine zweijährige Tochter hat ein seltsames Abendritual entwickelt: Wenn sie müde wird, kommt sie zu mir auf den Schoß gekrabbelt, legt sich bäuchlings auf mich und fängt an, sich an mir zu reiben. Dabei werden ihre Bewegungen immer heftiger und sie erhitzt sich richtig dabei. Mir ist das ziemlich unangenehm, weil es so sexuell ist! Ich allein könnte ja noch damit leben, wenn ich wüsste, das ist okay. Unerträglich wird es aber für mich, wenn Freunde oder Bekannte bei uns sind und das miterleben. Ich bin schon in Hab-Acht-Stellung, wenn die Kleine müde wird und auf meinen Schoß klettert, um zu kuscheln. Da merke ich, wie ich mich innerlich anspanne und versuche, mir mein Kind „vom Hals zu halten“. Das tut mir selber weh, zumal sie das ja als Zurückweisung versteht. Aber ich kann ihr doch schlecht erklären, dass ich es nicht mag, ihre sexuellen Aktivitäten hautnah zu erleben, oder?! Wie reagiere ich richtig?“

Auch Erzieherinnen in Kindertagesstätten berichten gelegentlich von Kleinkindern – Mädchen oder Jungen  – , die sich täglich während der Mittagsruhe sehr auffällig und lautstark selbst befriedigen, ehe sie einschlafen (können). 

Was ist normal und wo sind die Grenzen? Schadet es den Kindern, wenn ich das unterbinde, weil ich es nicht ertragen kann? Bin ich prüde, weil mir das zu weit geht? Muss ich mir vielleicht sogar Gedanken machen, ob das Kind missbraucht wird? So und ähnlich lauten die Fragen verunsicherter Erzieherinnen und Eltern.

Beim Thema Selbstbefriedigung fallen uns alberne Witze und schlimme Drohungen ein, die aus der Zeit unserer (Ur-) Großeltern resultieren, als jegliche sexuelle Handlungen, die nicht ausschließlich mit Zeugungsabsicht vollzogen wurden  – offiziell als schmutzig, triebhaft und unanständig verpönt waren. Der Sexualität wurde nur eine einzige Funktion zugebilligt: Fortpflanzung zum Zwecke der Arterhaltung. Somit galt Selbstbefriedigung natürlich als hoch sündhaft und als unumstößliches Tabu und wurde bei Kindern sogar bestraft.    

Heute wissen wir, dass Sexualität nicht nur diese eine – biologische – Funktion zu erfüllen hat. Sie leistet sehr viel mehr: denken wir nur einmal an die verschiedenen emotionalen und körperlichen  Aspekte wie Lust (Verlangen, Erregung, Genuss, Körperempfindungen, Glücksgefühle) oder Entspannung (Abschalten, sich gelöst fühlen). Nicht zu vergessen natürlich die sozialen Funktionen, die in der reiferen Erwachsenen-Sexualität hinzukommen: So fördert unsere Sexualität die Intimität und Nähe zu einem geliebten Menschen sowie die Bindung und Beziehung zwischen Sexualpartnern.      

Ja, manche Kinder stimulieren sich sexuell und genießen das sehr, andere Kinder gar nicht. Wir haben nicht immer eine Erklärung dafür. Wichtig ist: Masturbation schadet Kindern nicht. Auf jeden Fall gibt es keinen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen kindlicher Selbstbefriedigung und sexuellem Kindesmissbrauch, wie fatalerweise oft vorschnell geschlossen wird. 

Aber was ist mit unseren eigenen Gefühlen und Grenzen, wenn uns Kinder in ihrer Unschuld und ihrem kindlichen Egozentrismus gnadenlos an ihrer Sexualität teilhaben lassen? 

Kinder müssen lernen: Nicht alles, was wir tun möchten, was uns gut tut, ist für die Öffentlichkeit geeignet. Es gibt Dinge, die Schutz, Intimität und Privatsphäre brauchen, die wir besser ganz für uns allein genießen. Und wir (Erwachsenen) dürfen auch sagen, wenn wir uns gestört fühlen dadurch.

Natürlich darf die Erzieherin in der Kita beim Mittagsschlaf sagen: „Sina, das ist zu laut, das stört die anderen Kinder beim Schlafen!“ Es geht nicht darum, dass das Kind nicht masturbieren darf, sondern dass es lernt, Rücksicht auf andere zu nehmen und auch, dass es soziale Tabus gibt.

Und was würden Sie dem Papa aus dem ersten Beispiel sagen, dessen zweijährige Tochter bäuchlings auf seinem Körper masturbiert?... Ich habe ihm geraten, seine Grenzen ernst zu nehmen und das dem Kind auch zu sagen, vielleicht so: „Lena, ich mag das nicht, wenn du das bei mir machst. Lass uns lieber anders kuscheln.“ Und dann habe ich ihm empfohlen, in die Aktion zu gehen, das ihm unangenehme Ritual zu unterbrechen – am besten schon, bevor es anfängt – und etwas anderes dafür anzubieten, was schön ist für beide, z.B. Rücken  kraulen, im Arm wiegen, etwas erzählen oder oder oder. Ich war mit sicher, er und Lisa hatten noch viele andere Ideen und konnten ein Abendritual entwickeln, das beide genießen können.  

Liebe Eltern, haben Sie keine Angst vor der Sexualität ihrer Kinder. Sie gehört zu unser aller Leben wie das Essen und Trinken, wie Luft und Licht. Den Umgang damit aber gefühlvoll zu begleiten und zu kultivieren, das ist unsere Aufgabe als Eltern und Erzieher.

Uta Troike, Psychologin im Kinderarche Sachsen e.V

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